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Heinz Schütz

Kraft / Petz

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Die in der Moderne kulminierende Vorstellung von Kunst als Ausdruck eines einzigartigen, möglichst genialen Künstlers, der materiale Artefakte produziert, wird im Avantgardismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterminiert. In Fortsetzung dieser Ansätze formieren sich in den Fünfzigerjahren Künstlerkollektive, in denen nicht mehr der singuläre Künstler, sondern die Gruppe als Autor auftritt, gleichzeitig zeichnen sich zunehmend aktionistische Tendenzen ab. Die Bildung von Künstlergruppen findet in den Siebzigerjahren einen Höhepunkt. Ende der Siebziger- und in den Achtzigerjahren treten dann mehr und mehr Künstlerpaare an die Öffentlichkeit *. Im Unterschied zu früheren Künstlerpaaren, die Liebes- oder Ehebeziehungen, aber keine gemeinschaftliche Produktion verbindet, kooperieren die neuen Künstlerpaare und demonstrieren über den Namen – meist eine Vereinigung der beiden Einzelnamen – ihre gemeinsame Autorenschaft. Häufig, aber keineswegs ausschließlich, leben sie in einer hetero- oder homosexuellen Lebensgemeinschaft.

Noch während seiner Studienzeit wird Kurt Petz zu der avantgardistischen Ausstellung „sub art“ eingeladen – er befasst sich damals mit konzeptuellen und lichtkinetischen Projekten. Bevor Kurt Petz und Verena Kraft als Künstlerpaar Kraft/Petz zusammenarbeiten und sich insbesondere der Performance zuwenden, gründen sie in München mit Angelika Bader und Dietmar Tanterl die Künstlergruppe A.R.T.. Der Gruppenname rückt Kunst in die Nähe eines Firmen- oder Institutionsnamens und verwandelt sie in eine Abkürzung von etwas, das sozusagen noch seiner Benennung harrt. Auf eine Neu- und Umdefinition des Künstlerstatus zielt auch die Ausfertigung einer „A.R.T. IDENITITY-CARD“, in der sich die vier Künstler unter der Rubrik „MISSION“ zum „INITIATOR“ erklären. Als Initiatoren kuratieren Kraft/Petz Projekte wie etwa „Tonight“ und „Kunst im Abbruch“. Derartige Neudefinitionen sind Teil einer (post)avantgardisitschen Debatte, die Kunst als Institution und den tradierten Status des Künstlers grundsätzlich in Frage stellt. 1979, im Jahr der A.R.T.- Gründung, veranstaltet etwa das Künstlerhaus Hamburg eine Ausstellung mit dem Titel: „Eremit? Forscher? Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künstlern“.

Die Künstlergruppe A.R.T. löst sich in zwei Künstlerpaare auf. Bereits im Jahr 1980 verlassen Angelika Bader und Dietmar Tanterl A.R.T.. Kraft/Petz benützen das in der Knöbelstraße hinter dem Völkerkundemuseum gelegene A.R.T.-Studio in den folgenden Jahren als Arbeits- Ausstellungs- und Performanceraum. Als Künstlerpaar bilden sie eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft, dementsprechend wird im Jahr 2008 mit dem Ende der einen auch das Ende der anderen besiegelt. Zeitspezifisch betrachtet steht die Bildung von Künstlerpaaren auch im Zusammenhang mit der neu belebten Genderdebatte - die großen, das gesellschaftlich Ganze anvisierenden Politparadigmen und die Kapitalismuskritik sind weitgehend in den Hintergrund getreten. Einige Künstler erklären nun bis dahin kooperierende Partnerinnen zu Koautorinnen, man denke an Christo und Jeanne-Claude, an Anna und Bernhard J. Blume oder Ilya und Emilia Kabakov. Wohl am radikalsten wird die eigene Paarbeziehung in den Performances von Ulay & Marina Abramović Thema.

Im Gegensatz dazu wird in der Arbeit von Kraft/Petz weder ihr Verhältnis als Paar, noch die Genderfrage thematisch. Die Rezeption ihrer Performances verdeutlicht jedoch, welche Rolle die Genderdebatte in den Achtzigerjahren spielt. Gleichberechtigung voraussetzend sind die Aktivitäten von Petz und Kraft innerhalb einer Performance so weit als möglich symmetrisch verteilt. Kritische, Gender geschulte Betrachter allerdings vermuten immer wieder ­ worauf Kraft/Petz im Gespräch verweisen - geschlechtsspezifische Unterdrückungsmechanismen. Wenn etwa Verena Kraft mit der Flex hantiert, wird der Verdacht geäußert, der Mann lasse hier für sich arbeiten. Umgekehrt, greift Kurt Petz zur Flex, wird das als typisch männlich konnotierte Werkzeug als Ausschluss der Frau interpretiert. Exemplarisch wird hier deutlich, wie auch der Blick des Betrachters an der Konstruktion von Machtverhältnissen beteiligt ist.

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Ab dem Jahr 1981 bilden Performances den Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit von Kraft/Petz, daneben befassen sie sich mit Aktionen im öffentlichen Raum, mit Installationen und Objekten. Mit "Discovery of the Temperature" findet im Jahr 1994 in Kairo ihre letzte Performance statt. Bereits Anfang der Neunzigerjahre wenden sie sich zunehmend der Fotografie zu, wobei auch hier ihr Interesse an Prozessen zu Tage tritt. Sie entdecken, dass Cibachrome, die gewöhnlich als lichtresistent gelten, durch starke und lange Lichteinwirkung, veränderbar sind. In verschiedenen Serien setzen sie Fotoabzüge starkem Licht aus, um in einer spezifischen Form der Doppelbelichtung nicht nur den Film, sondern auch den Abzug zu belichten. Was gewöhnlich als Zerstörung gilt, die Ausbleichung von Fotos, entwickeln Kraft/Petz zum künstlerischen Verfahren. Im Rekurs auf Lucio Fontana etwa entstehen Fotomonochrome, die Fontanas Leinwandcuts in Lichtmalerei verwandeln. In Petz/Krafts Guernica­ Serie werden die Silhouetten der Flugzeugtypen, die die Deutsche Wehrmacht zur Bombardierung der Stadt einsetzte, zu bedrohlichen, in die Landschaft eingebrannten Lichtzeichen über den Hügeln vor der Stadt. Wenn Kraft/Petz Ende der Neunzigerjahre nicht nur Licht, sondern auch Pigmente einsetzen, nähern sie sich durchaus dem Terrain der klassischen Malerei. Die von ihnen verwandten Pigmente allerdings sind ungewöhnlich. Ihnen ist ein Moment der Zerstörung und der Transformation durch Feuer und Hitze eingeschrieben. Es handelt sich um Asche - Asche von Briketts, von Kuchen, von Holz, von Tier- und Menschenknochen.

Die Malerei steht nicht nur weitgehend am Ende der gemeinsamen Arbeit von Kurt Petz und Verena Kraft, sie ist auch früh in ihrer Zusammenarbeit Bezugspunkt einer ganzen Reihe von Performances. In ihnen wird Malerei thematisiert, institutionskritisch reflektiert und sozusagen in die Körper der Künstler übersetzt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der im weitesten Sinne konkreten Malerei zu, wie sie etwa Günter Fruhtrunk** mit hohem Ethos betrieb. Der konkretistische Ansatz behandelt Farbe als Farbe und Form als Form. Sie weisen hier nicht symbolisch oder mimetisch über sich hinaus, sondern sie zeigen sich als das, was sie sind und sie bedeuten sich selbst. Wenn Kraft/Petz die Performance „Zur freien Verfügung I“ im Atelier von Fruhtrunk veranstalten - sie hatten bei ihm an der Münchner Akademie studiert - , zeichnet sich zum einen eine Verbindung zur konkreten Malerei ab, zum anderen findet aber auch eine programmatische Überschreitung der Malerei hin zur Performance statt: Kraft/Petz halten sich auf runden und eckigen Leinwänden Farben entgegen. Dabei geht es, wie im Konkretismus, um die Präsentation und auch Interaktion von Farben. Nur, die Farbe zeigt sich hier nicht selbst, sie wird gezeigt. Das Identitätspostulat des Konkretismus, das sich auf Formen und Farben bezieht, wird hier weitergedacht und auf die Künstler übertragen. Die Künstler verschwinden nicht hinter dem Werk, sie werden selbst zu Farbträgern, wobei das Werk so lange dauert, so lange die Künstler agieren. Dieser Ansatz wird in anderen Performances von Kraft/Petz radikalisiert. Kraft/Petz schnallen sich Malerpinsel auf Kopf und Hände und verwandeln sich in leibhaftige Pinsel („Der Wille“). Sie binden sich Behälter mit Pigmenten an den Leib und kriechen durch die Gänge einer Kunstmesse („Die Anwesenheit der Künstler“). Mit Paletten auf dem Rücken bewegen sie sich wie Palettenkäfer hinter und übereinander die Treppen einer Galerie nach oben („Die Größe“). Sie tauchen mit ihrem gesamten Körper bis über den Kopf in Farbbecken mit verschiedenen Farben, wobei selbst ihre Augen mit Farbe verkleben („Farbwechsel“). Der Einsatz des Körpers als Pinsel wird bereits in Frühformen des japanischen Aktionismus in den Fünfzigerjahren praktiziert. So sehr dabei die körperliche Aktion in den Vordergrund tritt, entsteht dabei, wie in späteren Malereiperformances, ein Bild als gestische Spur und indexikalisches Zeichen, das auf den Akt der Produktion verweist. Die Performances von Kraft/Petz hingegen münden nicht in Malerei. In der demonstrativen Identitätskonstruktion von Künstler und Werk, von Künstlerkörper und Malinstrument entsteht nicht Malerei als materiales Objekt, sondern die Performance produziert gleichsam Tableaux vivants, in denen Malerei als Kunst kritisch reflektiert wird.

Die kritische Reflexion der Kunst und der Stellung des Künstlers – sie bilden das Fundament für die Hinwendung zur Performance – beschäftigt Kraft/Petz bereits in ihren ersten gemeinsamen Aktionen. In die "Künstler nehmen ihren Platz" besuchen sie mit einem Sehbalken vor den Augen, anonymisiert und blind, als Publikum mehrere Opern. In der Aktion "Neue Straßennamen" tauschen sie im Umfeld der Kunstakademie Straßenschilder aus und benennen die Straßen nach jungen, unbekannten Künstlern. Der Eingriff führt zu Anwohnerprotesten und endet für Kraft/Petz auf dem Polizeirevier. Noch im Rahmen von A.R.T versiegeln sie 35 Münchner Galerien und Museen. Diese Geste, mit der vergleichbar, mit der etwa auch die brasilianische Künstlergruppe 3NÓS3 im selben Jahr in São Paulo Galerien versiegelt, setzt die avantgardistische Institutionskritik der Sechzigerjahre fort: Galerien gelten als Institutionen, in denen Kunst zur Ware wird. Museen gelten als Orte, die Kunst dem Leben entziehen, die den Nachruhm perpetuieren, aber lebende Künstler weitgehend ignorieren. Grundsätzlich betrachtet kann die Entstehung der Performance im engeren Sinne Ende der Sechziger Jahre als Antwort auf die avantgardistisch fundierte Institutionskritik verstanden werden. Die Performance verbindet Werk und Künstler und kann nicht, sieht man von ihrer Dokumentation ab, als Ware verkauft werden. Die Performance ist – zumindest in ihrem inzwischen klassischen Sinn – einmalig und lässt sich nicht reproduzieren. Sie bringt den Körper des Künstlers ins Spiel und beharrt auf dem Hier und Jetzt. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist ihre Dauer und eine häufig damit verbundene Art der Entschleunigung. Der Körperbezug und die meist durch langwierige körperliche Arbeit erzielte Entschleunigung führen ins Zentrum der Kraft/Petz­ Performances. Wie um den Körper zu erden, graben sie sich mit Pickeln in die Erde ein. Die elementare Dimension Oben und Unten wird dabei zur körperlichen Herausforderung, die darüber hinaus auch metaphorisch verstanden werden kann. Ein wiederkehrendes Motiv ist das Motiv der Blindheit, dessen Bedeutung die unterschiedlichsten Schattierungen annehmen kann: Die Künstler, die nicht wahrgenommen werden, nehmen nun ihre Umgebung nicht wahr, was wiederum als ein Akt kritischer Kulturverweigerung verstanden werden kann. Wie „In Künstler gesucht“ kann der Balken vor den Augen auf Zensur und gesellschaftliche Diskriminierung verweisen – der Künstler mit rotem, blauem und gelbem Farbbalken als gesuchter Farbkrimineller. Gleichzeitig verhindert die Farbe hier, dass der Künstler sieht, sie setzt sich an die Stelle seines Blicks. Die Blindheit kann aber auch als Fortsetzung des Topos des blinden Sehers interpretiert werden: das innere Auge des Künstlers im Kontrast zur äußerlichen Wahrnehmung. Der Körperbezug der Kraft/Petz-Arbeiten prägt nicht nur die Performances, sondern auch die Installationen und Objekte. In der Betonskulptur „Schlaf der Vernunft“ werden Sprungfedern eingesetzt. Sie sind optisch vergoldet, würden sich jedoch bei Gebrauch in den Rücken bohren. Die Konstruktion einer Lautsprechskulptur wendet sich an das Auge, insbesondere aber auch an das Gehör. Mit bewusst üblem Geruch kommt in der Performance „Multiplier l´ Evolution“ eine weitere Körperdimension ins Spiel.

Die Prämisse, auf der insbesondere die kunstreflexiven Arbeiten beruhen, ist die Autonomie der Kunst. In diesem Sinne sind die meisten Arbeiten von Kraft/Petz nicht explizit politisch, was wiederum eine dezidiert gesellschaftliche Stoßrichtung keineswegs ausschließt. Eine Ausnahme, was den unmittelbaren politischen Bezug anbelangt, stellt ihre dezidierte Reaktion dar auf den mitten in Europa stattfindenden Jugoslawienkrieg – ein Land das als Urlaubsland beliebt ist, verwandelte sich in ein Kriegsterritorium. Als Generation, die der vorherigen Generation die historische Wahrheit über das Dritte Reich entgegenhielt, rekurrieren Kraft/Petz in einer ganzen Reihe von Arbeiten auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen. Um nur eine Arbeit zu nennen: Als Wettbewerbsbeitrag für das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ schlagen sie vor, das für das Denkmal vorgesehene Grundstück in eine Enklave, in israelisches Staatsgebiet, zu verwandeln.

Die Performances von Kraft/Petz wurden in den achtziger Jahren nicht nur von Malern immer wieder als Provokation empfunden und dies, obwohl die erste Performancewelle der Performancepioniere bereits einen ersten Höhepunkt erreicht hatte. Ende der Siebziger und Anfang der Achtzigerjahre beginnt insbesondere in Europa das Interesse an Performances zu wachsen, was nicht zuletzt zu einer ganzen Reihe von Performancefestivals führt. Insofern die Logik der Performance dabei noch dem avantgardistischen Fortschrittsdenken folgt, suggeriert sie die Ablösung und Überwindung der anderen Gattungen, insbesondere der Malerei. Wie sich zeigte, kehren Kraft/ Petz, zumindest mit einem Teil ihrer Arbeit, zur Malerei zurück. Doch handelt es sich tatsächlich um eine Rückkehr? Deutet sich eine Auflösung des Avantgardeparadigmas nicht schon zuvor auch in der Arbeit von Kraft/Petz an?

Bereits mit ihrer frühen Installation „A.R.T. originalisiert museumsstücke“ rekonstruieren Kraft/Petz Arbeiten von Sol Lewitt und Donald Judd – ein Verfahren, das auf ihre spezifische Weise etwa von Elaine Sturtevant zuvor angewandt wurde. Schon der Minimalismus, ebenso wie der Konzeptualismus, hat das expressive Künstlersubjekt hinter sich gelassen. In einer Appropriation, wie sie Kraft/Petz vornehmen, wird das Künstlersubjekt, gleichsam durch Aneignung ein zweites Mal überwunden. - Auch wenn Künstlersubjekt und -ego nicht identisch, stellt Petz die grundsätzliche Frage: „Wird die Idee des ego-zentrischen Künstlers ebenso widerlegt wie die Idee des geozentrischen Weltbildes?“ („Satellit-Künstler“).

Eine der späten Kraft/Petz-Performances trägt Züge einer frühen Form des Reenactments: In "Tanz der Relikte" wiederholen sie Gesten von anderen Performern und deren inzwischen historisch gewordene Performances. Die Körper von Kraft/Petz werden hier nicht nur zur Projektionsfläche für Diabilder, sie greifen diese Bilder mit ihren eigenen Körpern in erstarrten Posen auf.

Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu den anderen, bereits erwähnten Performances. Wie um das Zweck-Mittel-Verhältnis aufzuheben, setzen Kraft/Petz Zweck und Mittel gleich. Um der Instrumentalisierung zu entkommen, verwandeln sie sich selbst in Instrumente. Die Herausforderung, die im Hintergrund steht ist die Kunst, die sich mit ihrem Anspruch auf reine Autonomie wie eine Art Abglanz des Erhabenen über das Leben legt und damit Kunst vom Leben trennt. Mit Meißel und Hammer arbeiten Kraft/Petz vehement gegen diese Trennung und die goldenen Säulen der Kunst an ("Der Wille"). Der Hammer, den Petz dabei benutzt ist aus Eisen, sein Meißel aus Glas. Der Hammer von Kraft ist aus Glas, ihr Meißel aus Eisen: Glasmeißel und Glashammer zerbrechen. Die goldene Säule, so könnte es scheinen, bleibt unbeschadet.

* Siehe Kunstforum Bd.106/107. Einige Künstlerpaare in diesem Sinne gibt es auch zuvor. Man denke an das Bildhauerpaar Matschinsky-Denninghoff, die ihre Zusammenarbeit 1955 begannen, an Bernd und Hilla Becher seit 1959, Gilbert & George seit 1967.

** Ihre Wertschätzung Fruhtrunks und die Verbundenheit mit ihm zeigen sich nicht zuletzt darin, dass sie nach dem Tod Fruhtrunks, gemeinsam mit Sabine Buchmann die Ausstellung „Kontinuität und Diskontinuität" in München und im Goethe-Institut Paris zu seinen Ehren veranstalten.